
Die Besteigung des Olymps
Für Leonidas Kavakos ist ein Konzert weitaus mehr als die Aufführung einer Komposition: Der Solist, das Publikum, die Instrumente und der Saal werden alle zu Trägern der Musik.
«Ein Konzertsaal», meint Leonidas Kavakos, «ist in sich ein Musikinstrument. » Der griechische Violinist bezieht sich dabei nicht ausschliesslich auf die Akustik, die er mit dem Innenraum einer Violine vergleicht, wo der Ton entsteht. Die Klangproduktion sowie die Aufmerksamkeit, die der Musik entgegengebracht wird, sind für ihn genauso wichtig. So ergebe sich für alle Beteiligten eine «extrem positive Spannung, eine intensive Atmosphäre».
«Bedingungslose Kommunion»
Dieses gemeinschaftliche und tiefgreifende Erlebnis über die Grenze der Bühne hinweg ist für Kavakos ein zentrales Element seiner Auftritte: «Es gibt keine Bedingung dafür, einen Konzertsaal zu betreten; diese unfassbar laute Stille, bevor eine Aufführung beginnt, ermöglicht es allen, wahrzunehmen, was auf der Bühne geschieht. Es ist ein unglaublicher Prozess, vielseitig, aber etwas, das nirgendwo sonst im modernen Leben geschieht. Eine bedingungslose Kommunion in Stille.»
Daraus wächst wohl auch der grosse Respekt, der erkennbar wird, wenn Leonidas Kavakos über seine Arbeit als Soloviolinist spricht. Er scheint eine Verpflichtung zu spüren, wenn er dem Publikum oder einem Werk begegnet. Denn für ihn ist es seine Aufgabe, zu interpretieren, einen «Weg zum Ausdruck zu finden, aber nie die Absicht des Komponisten zu überschreiten».
Sinfonische Klangwelten
Kavakos’ Gedanken zu seinem Beruf, seiner Pflicht als Solist und seinem Verständnis unserer musikalischen Welt sind entsprechend filigran. Spricht er über das Publikum, die Musik oder seine Violine, gewinnt jeder Ausdruck an Gewicht. Er wägt die Worte genau ab, pausiert gelegentlich und korrigiert sich bereits bei leichten Bedeutungsnuancen direkt selbst. So sind denn auch seine Äusserungen zum ersten Violinkonzert von Dmitri Schostakowitsch, das er in Zürich spielen wird, reflektiert aufzufassen: «Das Violinkonzert von Schostakowitsch ist eines der grössten Konzerte, das je für ein Instrument geschrieben wurde. Es ist ein Konzert, das nichts zu wünschen übriglässt. Ein enorm starkes, mächtig sinfonisches Werk.»
Allein mit seiner Beschreibung der Komposition wird fast schon hörbar, wie sich die Solovioline in den vier Sätzen durch die unterschiedlichsten Klangwelten bewegt. Der zweite Satz, der an eine ruhige Nocturne anschliesst, liesse sich am ehesten als «Inferno» charakterisieren, der letzte Satz wie ein Triumph nach jener Kadenz, die, so Kavakos, eine der bedeutsamsten überhaupt sei, und die im Anschluss an die pulsierende Stille nach dem Höhepunkt des Werks erklingt. Er freue sich jedes Mal enorm, wenn er Schostakowitschs erstes Violinkonzert spiele, vergleicht diesen Kraftakt aber auch mit der Besteigung des Olymps.
Drang nach Musik
Solche Höchstleistungen benötigen Unterstützung. Neben dem Konzertsaal und den darin Anwesenden gehört für Leonidas Kavakos unbedingt sein Instrument dazu, denn «eine grossartige Violine zu spielen, macht einen zu einem besseren Musiker». Dass es sich bei ihm um eine Stradivari handelt, ist für Kavakos nur schon deshalb eindrücklich, weil es sich hier um «ein wichtiges Stück Geschichte» handelt. Und die Klangwelten, die sich mit einem solchen Instrument eröffnen, «stärken meinen Drang, immer mehr Musik zu machen».