Ksenija Sidorova (Foto: Kaupo Kikkas)
Ksenija Sidorova, Avi Avital, Martin Fröst

Sie rücken ihre Instrumente ins Scheinwerferlicht

Das Akkordeon, die Mandoline und auch die Klarinette kommen in Sinfoniekonzerten selten solistisch zum Einsatz. In der Tonhalle Zürich sind demnächst alle drei zu hören.

Susanne Kübler

Sieben Klavierkonzerte, sechs Violinkonzerte und vier Cellokonzerte sind im Saisonprogramm 2025/26 angekündigt, und niemand wird sich darüber wundern. Das Repertoire für diese drei Instrumente ist gross, die Zahl der hochkarätigen Solist*innen, die damit unterwegs sind, ebenfalls.

Aber was ist mit jenen, die andere Instrumente spielen? Kein Klarinettist kann sich allein mit den berühmten Werken von Mozart und Carl Maria von Weber über Wasser halten, ein Mandolinist hat die zwei Vivaldi-Konzerte irgendwann überall gespielt – und eine Akkordeonistin hat überhaupt keine klassischen Original-Hits zur Verfügung. Wer mit diesen Instrumenten eine Solo-Karriere machen möchte, muss sich also etwas einfallen lassen. Was das sein kann: Das führen Martin Fröst, Avi Avital und Ksenija Sidorova in den kommenden Monaten in der Tonhalle Zürich vor.

«Was ist denn das?»

Am Anfang, so erzählt die Lettin Ksenija Sidorova am Telefon, sei es schwierig gewesen. «Wenn ich mit meinem Akkordeon in einem Orchester auftauchte, war die Reaktion erst mal: Was ist denn das?» Man tippte zwar nicht gerade auf eine Schreibmaschine, wie ihr das am Flughafen manchmal passiert. Aber halt eben auch nicht auf ein ernsthaftes Solo-Instrument.

Mittlerweile hat sich das geändert, und sie hat einiges dazu beigetragen – mit ihrer Virtuosität, ihrer Risikofreude und ihrer ansteckenden Begeisterung für ihr Instrument, die im vergangenen März auch in der Kleinen Tonhalle zu erleben waren. Eigentlich hätte sie dort ein Konzert mit dem Bariton Thomas Hampson geben sollen, doch er musste krankheitshalber kurzfristig absagen; sie beschloss dann ebenso kurzfristig, ein Soloprogramm zu präsentieren. Ein bisschen nervös sei sie gewesen, sagt sie: «Ich war nicht wirklich darauf vorbereitet, und manche Leute hatten sich ja vielleicht vor allem auf Hampson gefreut». Aber als sie auf die Bühne trat mit ihrem 21-Kilo-Instrument, das wirkte wie ein Teil von ihr; als sie Werke von Glass und Bach und Piazzolla spielte und dazwischen etwas über die Musik oder ihr Instrument erzählte: Da gab es wohl niemanden im Saal, der nicht staunte über das, was sie mit ihrem Akkordeon zustande bringt.

Ksenija Sidorova (Foto: Kaupo Kikkas)

Kein Wunder, inspiriert sie mit ihrer Kunst immer wieder die Entstehung von neuen Werken. Das Akkordeonkonzert «Dances» etwa, das sie Ende September aufführen wird, hat der estnische Komponist Tõnu Kõrvits eigens für sie geschrieben. Kennengelernt hat sie ihn einst über Paavo Järvi; bei dessen Festival in Pärnu hatte sie einige Werke von Kõrvits gehört, und sie mochte seine Tonsprache: «Er ist einer dieser Rock-Guys, der sich seit seiner Kindheit für jede Art von Musik interessiert, und man hört alle diese Einflüsse.» Das Schreiben für das Akkordeon war allerdings auch für ihn eine Herausforderung: «Kein Komponist weiss einfach so, was möglich ist auf dem Instrument.»

Kõrvits hat sich nicht nur mit ihr zusammengesetzt, um sich Dinge vorspielen zu lassen, er hat das Akkordeon sogar selbst ausprobiert. Später schickte er ihr ein paar wenige Skizzen mit der Frage, ob sie spielbar wären, «und dann kam gleich die ganze Partitur». Da sei sie ein wenig erschrocken, «ich war sicher, dass man noch sehr vieles ändern müsse – aber es lag alles perfekt auf der Tastatur. Er ist wirklich total eingetaucht in die Welt dieses Instruments».

Es ist eine Welt, die sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert hat: «In den 1950er-Jahren gab es enorme technische Fortschritte, man konnte plötzlich voll polyphon spielen», erzählt Ksenija Sidorova. «Damit wurde das Akkordeon auch für Leute wie Luciano Berio oder Sofia Gubaidulina interessant. Und umgekehrt hiess es dann: Wenn so bedeutende Komponisten und Komponistinnen für Akkordeon schreiben – dann muss ja etwas dran sein.»

Doch selbst wenn immer mehr Werke entstehen: Kein Orchester der Welt wird sie mit derselben Selbstverständlichkeit im Repertoire haben wie die grossen Klavier- oder Violinkonzerte. Ist sie manchmal neidisch auf jene, die Dutzende von etablierten Partituren und das damit sozialisierte Publikum zur Verfügung haben? Nein, sagt Ksenija Sidorova. Zwar höre sie sehr gerne Klavierkonzerte, «aber es geht ja auch darum, die Musik zu bereichern, Neues zu schaffen, zu experimentieren». Wer Klavier spielt, ist viel weniger dazu gezwungen als sie, «und ich denke dann manchmal schon: Come on, vergesst mal eure normalen Programme und macht etwas anderes!»

«Generation von Weltbürgern»

Einer, der ebenfalls «etwas anderes» macht, ist der israelische Mandolinist Avi Avital. Ksenija Sidorova kennt ihn gut, «er ist einer meiner besten Freunde, seit über zehn Jahren reisen wir als Bühnenpartner durch die Welt». Ihre Instrumente haben einiges gemeinsam: Beide kommen in klassischen Sinfonieorchestern nicht vor, beide sind stilistisch vielseitig.

Und genau wie Ksenija Sidorova sieht Avi Avital das fehlende klassische Repertoire nicht als Problem. Schon als Jugendlicher erlebte er den Vorteil – wenn er mit dem Hit «Losing My Religion» von R.E.M. punkten konnte, der auf einem Mandolinen-Riff aufbaut. «Ich bin nicht gebunden an irgendwelche Traditionen, ich kann spielen, was mir und dem Publikum gefällt», sagte er einmal in einem Interview. «Es muss nicht unbedingt Klassik sein. Auf der Mandoline kann man auch Pop, Rock oder Bluegrass spielen.»

Avi Avital (Foto: Christoph Koestlin)

Selbst wenn er klassische Kompositionen aufführt, klingt es zuweilen nach allerlei anderem. Das gilt auch für das Mandolinen-Konzert des sizilianischen Komponisten und Cellisten Giovanni Sollima, das Avi Avital im November nach Zürich mitbringt. Es ist das Ergebnis einer Freundschaft: Sollima hat bereits ein Solo-Prelude für ihn geschrieben, immer wieder treten sie bei Duo-Abenden zusammen auf. Ihr gemeinsamer Bezug ist die Kultur des Mittelmeerraums; in Sollimas Werken für Avital fliessen nordafrikanische, sizilianische und israelische Klänge ein.

Er gehöre zu jener «Generation von Weltbürgern, die viele kulturelle Einflüsse absorbiert», hat Avi Avital einmal gesagt. Entsprechend hat die Musik, die er spielt, nichts mit Crossover zu tun. Sie ist nicht konstruiert, sondern authentisch – und ein Beispiel dafür, in wie viele Richtungen sich die zeitgenössische Musik nach Jahrzehnten der strengen Strukturen inzwischen wieder geöffnet hat.

«Eine Horrorvision»

Auch der Klarinettist Martin Fröst ist ein Solist, der sich über diese Entwicklung freut, oder mehr noch: der sie mit sehr viel Fantasie, Energie und Können vorantreibt. Der Schwede mag im klassischen Kontext nicht ganz so «exotisch» wirken wie Ksenija Sidorova oder Avi Avital; die Klarinette ist ein fester Bestandteil eines Sinfonieorchesters, und es gibt immerhin eine Handvoll wirklich berühmter Solo-Werke für sie.

Aber anders als die meisten Klarinettist*innen, die zumindest zu Beginn ihrer Karriere eine Orchesterstelle mit solistischen Auftritten verbinden, konzentrierte sich Martin Fröst von Anfang an auf Letztere – erfolgreich, jedoch bald auch zunehmend skeptisch. Als er das Mozart-Konzert zum zweiten Mal einspielte, begann er über neue Perspektiven nachzudenken: Denn die Vorstellung, dereinst mit 85 Jahren auf Hunderte von Auftritten mit diesem Werk und dem ebenfalls berühmten Konzert von Carl Maria von Weber zurückzublicken, war für ihn «eine Horrorvision».

Also fing er an, sich Projekte auszudenken, in denen er nicht nur Klarinettist ist, sondern je nachdem auch Dirigent, Texter, Tänzer, «Zeremonienmeister». Er arbeitet dafür mit Lichtdesignern, Choreografen und dem Royal Stockholm Philharmonic Orchestra zusammen – und verbindet unter Titeln wie «Dollhouse», «Genesis», «Retrotopia» und «Xodus» klassische, zeitgenössische und improvisierte Klänge. Auch seine Solo-Auftritte mit anderen Orchestern verraten seine Lust auf Neues: Manches arrangiert er selbst, anderes komponiert sein auf Klezmer spezialisierter Bruder Göran Fröst, und immer wieder bringt er grosse Konzerte zur Uraufführung.

Martin Fröst (Foto: Martin Bäcker)

Eines davon war 2023 «Weathered» der britischen Komponistin Anna Clyne, das er im Oktober unter der Leitung von Cristian Măcelaru mit dem Tonhalle-Orchester Zürich einstudieren wird. Das Stück erzählt in fünf geradezu bildhaft charakteristischen Sätzen von verwitterten Dingen: von einer rostigen Brücke etwa, von einem gebrochenen Herzen, vom Klimawandel. Martin Fröst war in den Entstehungsprozess einbezogen, in verschiedenen Phasen haben er und Anna Clyne sich ausgetauscht – über Spieltechniken und Klänge, über besonders günstige und gerade noch mögliche Konstellationen.

Es sei eine Herausforderung gewesen, für Klarinette zu schreiben, sagte die Komponistin danach in einem Interview. Und: Die Gespräche mit Martin Fröst hätten dazu geführt, dass es «ein stärkeres, spezifischeres Werk» geworden sei. Dasselbe hätte einst Mozart sagen können, als er seine Klarinetten-Werke für Anton Stadler schrieb – und dabei gemeinsam mit ihm die Idee einer auch in der Tiefe chromatisch spielbaren Bassettklarinette entwickelte.

Vielleicht liegt der Reiz der Klarinette, aber auch der Mandoline oder des Akkordeons ja genau darin, dass diese Instrumente nicht im Zentrum der Konzert-Tradition stehen. Wer für sie komponiert oder mit ihnen eine Solo-Karriere anstrebt, muss (und darf) sich ebenso auf Ungewohntes einlassen wie das Publikum. Oder wie es Ksenija Sidorova mit einem Sprichwort so treffend auf den Punkt bringt: «Wer nichts riskiert, trinkt keinen Champagner.» In diesem Sinne: Prost!

September 2025
Mi 24. Sep
19.30 Uhr

Paavo Järvi & Ksenija Sidorova

Tonhalle-Orchester Zürich, Paavo Järvi Music Director, Ksenija Sidorova Akkordeon Pärt, Kõrvits, Vasks, Pärt, Mozart
Do 25. Sep
19.30 Uhr

Paavo Järvi & Ksenija Sidorova

Tonhalle-Orchester Zürich, Paavo Järvi Music Director, Ksenija Sidorova Akkordeon Pärt, Kõrvits, Vasks, Pärt, Mozart
Fr 26. Sep
19.30 Uhr

Paavo Järvi & Ksenija Sidorova

Tonhalle-Orchester Zürich, Paavo Järvi Music Director, Ksenija Sidorova Akkordeon Pärt, Kõrvits, Vasks, Pärt, Mozart
Oktober
Do 23. Okt
19.30 Uhr

Cristian Măcelaru & Martin Fröst

Tonhalle-Orchester Zürich, Cristian Măcelaru Leitung, Martin Fröst Klarinette Clyne, Prokofjew
Fr 24. Okt
19.30 Uhr

Cristian Măcelaru & Martin Fröst

Tonhalle-Orchester Zürich, Cristian Măcelaru Leitung, Martin Fröst Klarinette Clyne, Prokofjew
November
Sa 01. Nov
18.30 Uhr

Freundeskreis-Konzert

Tonhalle-Orchester Zürich, Alondra de la Parra Leitung, Avi Avital Mandoline Prokofjew, Sollima, Márquez
So 02. Nov
17.00 Uhr

Alondra de la Parra & Avi Avital

Tonhalle-Orchester Zürich, Alondra de la Parra Leitung, Avi Avital Mandoline Prokofjew, Sollima, Márquez
Mai 2026
Di 26. Mai
19.30 Uhr

Kosmos Kammermusik: Thomas Hampson & Ksenija Sidorova

Thomas Hampson Bariton, Ksenija Sidorova Akkordeon Schubert
veröffentlicht: 05.09.2025

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