Ennio Morricone (Foto: Courtesy of Muthmedia GmbH
Filmsinfonik: Ennio Morricone

Drehbücher für das Ohr

Seine Filmmusiken für Italo-Western gehören zu den berühmtesten Soundtracks überhaupt. Aber Ennio Morricone komponierte auch ganz anderes.

Susanne Kübler

Wer den Namen Ennio Morricone hört, hat sofort eine gepfiffene Melodie im Kopf, oder die Klage einer Mundharmonika, oder das Schnarren einer Maultrommel. Auf jeden Fall etwas, das nach Wüste und Weite klingt. Denn der römische Komponist hat zusammen mit seinem einstigen Primarschul-Kollegen Sergio Leone nicht nur das Genre des Spaghetti-Westerns erfunden – er schuf dafür auch klangliche Chiffren, die ebenso unverkennbar wie unvergesslich sind.

Sie haben ihm 2007 einen Oscar für sein Lebenswerk eingebracht und einen Ruhm, den er eher gefunden als gesucht hatte. Denn ursprünglich peilte er eine ganz andere Karriere an, eine als leidenschaftlicher Avantgardist. Wie sehr er das letztlich blieb, erfuhr man im Gespräch mit ihm: Er sei nicht Filmkomponist, sondern Komponist, das betonte er gern. Und wies einen darauf hin, dass er neben rund 500 Soundtracks auch ganz anderes geschrieben habe; nämlich Kammermusik und Klavierstücke, Orchesterwerke, Kantaten und eine Oper.

Ennio Morricone (Foto: Courtesy of Piano B)

Angefangen hatte er einst als Trompeter, wie sein Vater. Aber während jener Unterhaltungsmusik machte, war Ennio Morricone nach dem Konzertdiplom mit einem experimentellen Ensemble unterwegs – und studierte daneben Komposition bei Goffredo Petrassi. 1958 reiste er zu den Darmstädter Ferienkursen, als Teil einer radikalen Generation, zu der auch Pierre Boulez und Karlheinz Stockhausen, Luigi Nono und Luciano Berio gehörten.

Aber da man mit neuer Musik «keine Familie ernähren» konnte, wie er sagte, musste sich der vierfache Vater lukrativere Projekte einfallen lassen. Also komponierte und arrangierte er Canzoni für Milva, Mina und Gianni Morandi. Und schaffte nach ein paar wenig erfolgreichen Versuchen in der Filmbranche mit dem Soundtrack für Sergio Leones «Per un pugno di dollari» den Durchbruch, der ihm deutlich mehr als eine Handvoll Dollar eintrug und das Thema Finanzen fürs Erste erledigte.

Los Angeles? Lieber nicht

Ab dann war er weiträumig gefragt. Nicht nur italienische Regisseure wie Pier Paolo Pasolini, Bernardo Bertolucci oder Ettore Scola wollten Musik von ihm, auch in Hollywood wurde man aufmerksam auf den schüchternen Italiener, der sich allerdings als bemerkenswert stur herausstellte. Eine Villa in Los Angeles? Die lehnte er dankend ab. Er wollte in Rom bleiben, auch Reisen mochte er nicht. Wer etwas von ihm wollte, musste schon zu ihm kommen.

Es kamen viele, und sie erhielten ganz Unterschiedliches. Denn Ennio Morricone kannte nicht nur alle emotionalen Tricks, sondern auch die Musikgeschichte. Er brachte barocke Muster zum Sieden, liess sizilianische Volksmusikmelodien gegeneinander antreten, zog den Harmonien doppelte und dreifache Böden ein. Selbst in seine süffigsten Soundtracks schmuggelte er verblüffend viel Atonales, und auch sein Vokabular verriet den ehemaligen Avantgardisten: Wenn es in seinen Partituren schepperte und knirschte, sprach er nicht von Geräuschen, sondern von «nichtmusikalischen Klängen».

So hat es ihn zweifellos gefreut, dass zu seinen vielen Fans der Komponist Helmut Lachenmann gehörte, der sich auf ganz andere Weise mit «nichtmusikalischen Klängen» auseinandersetzt. Morricones Musik habe eine «unwiderstehliche Aura», sagte Lachenmann einst in einem Interview, «rational komme ich dem nicht auf die Schliche». Ein weiterer Fan war Quentin Tarantino – der letzte grosse Regisseur, der nach Rom reiste. Er hatte in etlichen Filmen (mit und ohne Bewilligung) Morricone-Motive zitiert, nun wünschte er sich für «The Hateful Eight» einen eigenen Soundtrack. Und der damals bereits 87-jährige Komponist setzte sich einmal mehr wie gewohnt morgens von 7 bis 12 Uhr an den Tisch und schrieb jene Musik, die ihm 2016 den zweiten Oscar bescheren sollte.

Erst die Musik, dann der Film

Fragte man ihn nach der Zusammenarbeit mit Tarantino, beklagte sich Ennio Morricone allerdings ziemlich offen darüber, dass dieser am Ende «allzu frei» mit der Partitur umgegangen sei. Das widersprach Morricones Ästhetik grundsätzlich: Er verstand einen Soundtrack als Werk, nicht als Materialsammlung. Er komponierte auch deshalb so diszipliniert, weil er seine Partitur vor dem Start der Dreharbeiten fertig haben wollte, «denn so kann man die Szene entsprechend etwas länger oder kürzer drehen». So zurückhaltend er wirkte, so dezidiert war er der Überzeugung, dass die Musik in einem Film ebenso wichtig sei wie die Bilder.

Sergio Leone hatte das wohl von allen am besten verstanden. Bei den Dreharbeiten zu «Spiel mir das Lied vom Tod» liess er jedenfalls den bereits fertiggestellten Soundtrack als «Drehbuch für das Ohr» laufen – im Wissen darum, dass dies die Protagonisten beeinflussen würde. Leone habe seinen Klängen «genügend Raum» gegeben, sagte Morricone dazu: nämlich genau so viel, wie eine Musik braucht, die weit mehr zu bieten hat als ein bisschen Atmosphäre.

Als Ennio Morricone am 6. Juli 2020 starb, brachte die Zeitschrift «Der Spiegel» das alles im letzten Satz des Nachrufs sehr schön auf den Punkt: «Ein wichtigerer Komponist hat das Kino nie beschenkt.»

Juli 2025
Do 03. Jul
19.30 Uhr

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veröffentlicht: 23.06.2025